Wenn in der heutigen Kirche von „Synodalität“ gesprochen wird, dann scheint dies für viele Gläubige zunächst ein zeitgemässes Schlagwort zu sein – verbunden mit Partizipation, Transparenz und gemeinschaftlicher Entscheidungsfindung. Doch ein genauerer Blick in die Geschichte und Theologie zeigt, dass der Begriff „Synodalität“ nicht nur wandelbar, sondern auch spannungsreich ist – je nachdem, wie man ihn versteht und mit welchem theologischen Grundverständnis er verbunden wird. Das zeigt sich besonders im Vergleich zwischen Papst Franziskus und dem inoffiziell als „Leo XIV.“ bezeichneten zukünftigen oder hypothetischen papalen Idealtypus eines lehramtlich stark konservativen Papstes. Trotz der Verwendung desselben Begriffs – „Synodalität“ – sprechen beide von grundsätzlich verschiedenen Wirklichkeiten.
1. Synodalität bei Papst Franziskus: Prozess statt Definition
Papst Franziskus hat Synodalität zu einem Schlüsselbegriff seines Pontifikats gemacht. In der Konstitution Episcopalis communio (2018) sowie in zahlreichen Ansprachen betont er Synodalität als den „Stil der Kirche“. Er versteht darunter einen Weg, auf dem das ganze Volk Gottes – vom Bischof über den Priester bis hin zum Laien – gemeinsam auf den Heiligen Geist hört. In dieser Sichtweise ist Synodalität ein geistlicher Prozess, kein blosses Strukturprinzip.
Zugleich aber birgt dieses Verständnis Gefahren: Denn wenn Synodalität primär als „Hören auf das Volk Gottes“ interpretiert wird, besteht das Risiko, dass das objektive Lehramt relativiert oder gar untergeordnet wird. Die Kirche läuft Gefahr, von einem pneumatisch fundierten Leib Christi zu einem quasi-demokratischen Diskursraum zu werden. Dass Franziskus stets betont, der Papst sei „Garant der Einheit“ und habe letztlich das letzte Wort, mag als Ausgleich gedacht sein – doch die Spannung bleibt bestehen.
2. Leo XIV. und die klassische Synodalität: Kollegialität unter dem Papst
Ganz anders würde ein Papst Leo XIV. – der hier exemplarisch für eine theologisch klar konservative, an die Tradition der Kirche gebundene Sichtweise steht – Synodalität verstehen. Für ihn wäre Synodalität nichts anderes als die seit der Antike gewachsene Praxis der Konzilien und Synoden, in denen die Bischöfe in Gemeinschaft mit und unter dem Papst über pastorale und disziplinarische Fragen beraten. Sie ist also collegialitas sub Petro, nicht consensualitas contra Petrum.
Die Bischöfe besitzen – nach dem II. Vatikanum – nur dann Kollegialität im eigentlichen Sinne, wenn sie in Einheit mit dem Papst handeln (Lumen gentium 22). Eine Synode ist demnach kein Parlament, und eine synodale Kirche keine repräsentative Demokratie. Leo XIV. würde daher Synodalität nie in einem offenen Sinn von „Dialog“ oder „gemeinsamer Suche“ verstehen, sondern vielmehr als organische Form des hierarchisch gegliederten Mitwirkens am einen Lehramt – geleitet vom Primat des Papstes, bewahrt durch die Tradition, abgesichert durch die Dogmatik.
3. Das Ringen um die Autorität: Das Wort „Synodalität“ als Kampffeld
Das Problem liegt also nicht im Begriff selbst, sondern in der hermeneutischen Perspektive. Während Franziskus Synodalität als dynamischen Prozess versteht – offen für neue Formen, mit starkem Fokus auf „pastorale Unterscheidung“ –, sieht Leo XIV. darin ein geordnetes Mittel zur Stärkung der Autorität der Kirche durch kollektive Weisheit innerhalb klarer dogmatischer Grenzen.
Theologisch betrachtet steht dahinter ein grundsätzlicher Unterschied im Kirchenbild: Bei Franziskus tritt stärker das Volk Gottes als subjektive Grösse hervor, bei Leo XIV. ist die Kirche primär mater et magistra, die Mutter und Lehrerin, die objektiv belehrt – nicht zuerst belehrt wird. Die Frage ist also: Kommt die Wahrheit aus dem sensus fidei fidelium, oder wird dieser selbst von der Wahrheit geformt?
4. Fazit: Synodalität als Prüfstein der Ekklesiologie
Die Debatte über Synodalität ist keine rein terminologische, sondern eine zutiefst theologische. Sie berührt das Verständnis von Kirche, Lehramt, Autorität und Partizipation. „Gleiches Wort, unterschiedliche Bedeutung“ ist daher keine blosse Provokation, sondern eine notwendige Unterscheidung.
Die Zukunft der Kirche hängt nicht davon ab, ob sie „synodal“ ist – denn das war sie immer –, sondern davon, wie sie diesen Begriff füllt: Mit der Demut des Gehorsams gegenüber dem depositum fidei oder mit der Versuchung, das Evangelium an die Bedürfnisse der Zeit anzupassen.
Die wahre Synodalität ist kein Weg der Anpassung, sondern der Umkehr – conversio ad Dominum. In diesem Sinne wäre Leo XIV. nicht der Gegner von Synodalität, sondern ihr wahrer Verteidiger – im ursprünglichen, katholischen Sinn.