Bern (novaradio.ch): Diese Woche hatte ich die letzten Stunden mit einer Klasse, die ich drei Jahre in der Mathematik unterrichtet habe. Als Abschiedsgeschenk schreibe ich allen Schülerinnen und Schülern immer einen persönlichen Brief, in dem ich Ihnen auch noch alles Gute für ihre Zukunft wünsche. Ebenfalls gehört es zum Abschiedsritual, dass ich von den Schülerinnen und Schülern erbitte, mir ein ehrliches und auch kritisches Feedback zu schreiben, in welchem sie vor allem auch negative Punkte meines Unterrichts ansprechen. Oft kommt es vor, dass in diesen Feedbacks geschrieben wird, ich sollte strenger sein und nicht so viel durchgehen lassen. Dieses Mal habe ich von einer Schülerin ein Feedback erhalten, das mich sehr erfreut hat. Sie schrieb wortwörtlich, dass ich ein barmherziger Mensch sei. Sie hat dies sicherlich in Bezug auf die Tatsache geschrieben, dass ich meine Schüler nur ganz, ganz selten bestrafe. Aber die Wortwahl hat mich sehr erstaunt und sehr glücklich gemacht. Barmherzigkeit ist ein Begriff, den man ausserhalb der Kirche sehr selten hört. Sogar in der Kirche wird der Begriff in progressiven Kreisen gemieden. Für mich hingegen ist es der schönste und erhabenste Begriff, den es gibt. Es ist die grösste Eigenschaft Gottes. Daher ehrt mich diese Wortwahl sehr, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass ich dieses Ziel, ein barmherziger Mensch zu sein, sehr oft verfehle.

Es muss das Anliegen jedes Katholiken sein, im Alltag so zu leben, dass unsere Mitmenschen merken, dass wir barmherzig sind. Wenn Gott gegenüber uns barmherzig ist, dann sind auch wir verpflichtet, gegenüber unseren Mitmenschen barmherzig zu sein. Nicht mit Worten sollen wir uns als Katholiken deklarieren, sondern mit unseren barmherzigen Taten. Die heutige Welt ist geprägt durch eine grosse Herzlosigkeit, bei der Menschen nur nach ihrem Nutzen bemessen werden. Gottes Barmherzigkeit ist das pure Gegenteil davon. Gottes Liebe schlägt für jeden Menschen, unabhängig davon, was er leistet. Seien wir daher Menschen der Barmherzigkeit und ahmen wir Gott nach, indem unsere Taten voll der Güte und der Nächstenliebe sind. DR

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