NEWS: Der Vergötzung des Fortschritts

Eine Buchbesprechung von Clemens Victor Oldendorf

„Franziskus, geh hin und stell mein Haus wieder her, das, wie Du siehst, ganz verfallen ist!“ Diese Worte sind mit einer bekannten Begebenheit im Leben des heiligen Franziskus von Assisi verbunden, den der gegenwärtige Heilige Vater bei der Wahl seines Papstnamens bekanntlich als Namensgeber für sich in Anspruch genommen hat. Wir wissen, dass sie in der Ruine des Kirchleins von San Damiano verortet sind und dass der Heilige sie ziemlich am Beginn seines Bekehrungsweges von jener kreuzesförmigen Christusikone her vernahm, die den Besucher von Assisi heute auf Schritt und Tritt, in allen erdenklichen Größen und Qualitäten nachgebildet, aus den Devotionalienläden für Pilger anblickt und ihm als touristisches Mitbringsel oder frommes Andenken offeriert wird. Das Original befindet sich heute in der Basilika, die der heiligen Klara von Assisi geweiht ist.

Franziskus nahm den Auftrag zunächst ganz wörtlich und beschaffte Steine, um mit eigenen Händen die dem Verfall preisgegebene Kapelle auszubessern und wieder herzurichten. Eine weitere Episode schildert ähnlich den Traum des Papstes Innozenz III., der in Franziskus die Gestalt des Ordensmannes wiedererkannte, der ihm kurz zuvor in einem Traumgesicht erschienen war, wie er die Lateranbasilika, die Bischofskirche des Papstes, stützt und vor dem Einsturz bewahrt. Der Spannungsbogen, hier: das unscheinbare Kirchlein von San Damiano – dort: die Mutter und das Haupt aller Kirchen der Stadt [Rom] und des Erdkreises, zeigt eindrücklich die Spannweite der Sendung des heiligen Franziskus an, die Kirche von Rom als Institution in der Reinheit ihrer Anfänge und Stiftung durch Christus wiederherzustellen.

Zwei Neuerscheinungen zugunsten der überlieferten Römischen Messe ergänzen einander kurz nacheinander

Weiterhin ist bekannt, wie der heilige Franziskus für sich und die Brüder, die sich ihm anschlossen, den Ritus der päpstlichen Kurie erbat und wie sich mit der schnellen Ausbreitung des neuen Ordens dieser Ritus über Rom hinaus rasant verbreitete. Zugleich kam es dabei zu einer Aneignung des Ritus der päpstlichen Kurie durch die Brüder, die wiederum auf die Praxis der Päpste in Rom zurückwirkte. Maßgeblich auf diesem Wege entstand derjenige Römische Ritus, der Ausgangspunkt, Grundlage und Muster des Messritus bildete, den man mit der Liturgiereform im Anschluss an das Konzil von Trient assoziiert. Diesen Prozess hat Uwe Michael Lang in seinem bemerkenswerten Buch The Roman Mass anschaulich aufgezeigt. Langs Buch erschien Ende September 2022, und ich habe es in einer zweiteiligen Rezension ausführlichst vorgestellt.  Wenige Tage später, am 4. Oktober 2022, ist von Peter A. Kwasniewski jenes Buch erschienen, auf das ich heute aufmerksam machen möchte, The Once and Future Roman Rite. Beide Bücher (und Autoren) sind sehr unterschiedlich und ergänzen sich dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, vorzüglich. Als Rezensent ist mir vollkommen bewusst, dass der exakte Erscheinungstermin eines Werkes kaum jemals präzise vorhergesehen oder gar absichtsvoll geplant werden kann, und dennoch wirkt es auf mich wie von der Vorsehung gefügt, dass Kwasniewskis Buch am Fest des heiligen Franziskus von Assisi vom angesehenen traditionsorientiert-katholischen US-amerikanischen Verlag TAN Books auf den Buchmarkt gebracht worden ist.

Die schon geschilderten Szenen, wie Franziskus die Kirche aus Verfall und Niedergang wieder aufrichtet beziehungsweise, wie er sie davor bewahrt, einzustürzen, lassen sich auch liturgisch verstehen, denn die Kirche und das Gotteshaus sind auf Erden ja nicht nur bloße Rechtsgestalt oder Bauwerk, sondern der privilegierte Ort von Kult und Liturgie und die Gemeinschaft, in der beide sich vollziehen. Hinzu kommt bei Franziskus von Assisi wie gesagt, dass er ganz bewusst für sich und die Brüder um ihn die Anerkennung durch und die Anbindung an den Papst und den Römischen Stuhl gesucht hat, um nicht mit den unübersichtlichen, nicht selten unkirchlichen und im Bekenntnis des Glaubens abwegigen Verzweigungen der Armutsbewegung seiner Tage verwechselt oder in einen Topf geworfen zu werden.

Im Gottesdienst kommt dies zum Ausdruck, indem die Regula bullata die Kleriker der Minderbrüder auf „die Ordnung der heiligen Kirche von Rom“7 festlegt, die Regel also, die Honorius III. am 29. November 1223 durch eine Bulle bestätigt hat, woher ihr Name rührt, der sie zugleich von einer früheren Fassung8, die 1221 abgeschlossen und nicht anerkannt wurde, zu unterscheiden hilft. Freilich wissen wir auch, dass der damalige Ritus der Päpste bereits in seiner Heimatdiözese Assisi üblich war, als der heilige Franziskus für sich darum ansuchte9, so dass auch sehr pragmatische Gründe für diese Bitte eine Rolle gespielt haben werden.

In einer Zeit, in der ausnahmslos alle Päpste seit 1969 niemals die Messe in ihrer gewachsenen und überlieferten Römischen Gestalt gefeiert haben und mehr noch, seitdem ein Papst, der sich Franziskus nennt, dieser überlieferten Römischen Liturgie mit Traditionis Custodes rundweg abspricht, überhaupt noch Ausdruck des Römischen Ritus zu sein, gewinnt die Wahl des heiligen Franziskus von Assisi zugunsten dieses Ritus eine neue, aktuelle Tragweite hinzu, die sie vergleichbar womöglich nicht mehr gehabt hat, nachdem sie so einflussreich für die Verbreitung des historisch authentischen Römischen Ritus und so vorbereitend und prägend gewesen ist für die Ausgestaltung, die er zunächst in der Praxis der Päpste selbst10 und schließlich im Missale Romanum des Konzils von Trient ab 1570 mit grundsätzlich weltweiter Geltung angenommen hat.

Ein in seiner Originalität wertvolles Geleitwort Martin Mosebachs

Martin Mosebach, auf den Kwasniewski sich im Verlaufe seiner Darlegungen öfters und meistens anerkennend oder zustimmend bezieht, hat zu dem Buch ein Geleitwort beigesteuert, das sich wenig überraschend durch den bisweilen freien Umgang des Literaten mit historischen Fakten auszeichnet, etwa wenn Mosebach die Behauptung aufstellt, die zwölf romanischen Hauptkirchen Kölns, der Heimatstadt seiner Mutter, auf deren Einfluss er die rheinische Prägung seines Katholizismus zurückführt, besäßen „sämtlich den Rang von Kathedralen“, während man richtigerweise sagen kann, dass sie alle den architektonischen Typus einer Basilika miteinander teilen. Doch als Zeitzeugnis eines Mannes, der in der Zeit der Indulte durch die und in der Alten Messe zur Glaubenspraxis zurückgeführt worden war, von der er sich in der Abbruchstimmung der 1968er-Bewegung entfernt und gerade wegen der vermeintlichen Reform Pauls VI. entfremdet hatte, sind Mosebachs Zeilen wirklich ein inhaltlicher Gewinn für das Buch und aufgefrischt von unverkennbar rheinisch-katholischer Selbstironie, wenn er von sich als von einem „Weihwasserfrosch“ spricht, zu dem er wohl oder übel habe werden müssen, um zu helfen, die überlieferte Römische Liturgie in der hässlichen Frankfurter Hotelkapelle, in der die Indultmesse in den 1980er Jahren gefeiert worden war, wieder aufleben zu lassen. Weihwasserfrösche nannte man in Köln „die ältlichen Junggesellen, die sich in der Sakristei herumdrückten“. Dieser Humor ist nützlich in einer Lage, in der die überlieferte Liturgie wieder ganz zurückgedrängt und in der vollendeten Vergangenheit abgeschlossen, selbst der Erinnerung entrissen werden soll, denn ohne solch heiteren Abstand könnte mancher womöglich wirklich resignieren oder in gelähmte Niedergeschlagenheit verfallen. Da er verheiratet und Familienvater ist, erfüllt Kwasniewski nicht ganz die Definition eines Kölschen Weihwasserfrosches, aber dennoch stellt man erfreut und nicht nur zwischen den Zeilen immer wieder Sinn für Humor fest, wie könnte es anders sein, angesichts seiner Tatkraft und sprudelnden Produktivität, wovon The Once and Future Roman Rite nur das jüngste Ergebnis und Beispiel ist.

Nominalismus als Grundproblem

Seiner eigenen Vorrede zu seinem Buch stellt Kwasniewski ein Motto voran, das stark an Spr 9, 10 und stärker noch an Ps 110, 10 erinnert, dabei indes ein Ausspruch von Konfuzius ist: „Der Anfang der Weisheit ist es, die Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen“. Der Ritus oder das Messbuch Pauls VI. werden nicht römisch, indem der Montini-Papst sie 1969 so genannt hat, und die echte, gewachsene und überlieferte Römische Messe und Liturgie insgesamt, hört nicht auf, Römischer Ritus zu sein, bloß weil ein Papst, der sich ausgerechnet auch noch nach Franziskus von Assisi benennt und sich im oberflächlichen Image mit der Beliebtheit dieses Heiligen schmücken will, verfügt, der Novus Ordo Missae und die nachkonziliaren liturgischen Bücher seien ab sofort alleiniger Ausdruck des Römischen Ritus. Die neue liturgische Ordnung enthält zwar noch Spuren und Bruchstücke, deren Ursprung in der Tradition der Römischen Liturgie liegt. Sie sind aber so vereinzelt und künstlich zusammengestellt, dass sie durch ihr bloßes Vorhandensein, dem man in der liturgischen Praxis überdies leicht ausweichen und es umgehen kann, diese römische Tradition nicht fortsetzen. Das ändert sich auch nicht durch ein autoritäres Machtwort des regierenden Papstes. Analog gesprochen kann Franziskus etwas, was in seinem Kern und Wesen nicht römisch ist, durch ein solches Machtwort nicht zum Römischen hin wandeln, quasi wie es in der eucharistischen Konsekration die Wandlungsworte über Brot und Wein bewirken.

Vorgeschichte und Entstehung von The Once and Future Roman Rite

Der Leser erfährt, dass der Kernbestand von The Once and Future Roman Rite auf Vortragstätigkeit und Onlinepublikationen Kwasniewskis basiert, die im Jahre 2019 aus der Auseinandersetzung des Autors mit den fünfzigsten Jahrestagen von Einführung und Inkrafttreten des Novus Ordo Missae 1969 erwachsen waren. Wer Kwasniewski kennt, der weiß, dass eigentlich alle seine Buchveröffentlichungen eine solche oder sehr ähnliche Genese haben. Im vorliegenden Falle hat er jedoch die einzelnen Texte, die nunmehr die Kapitel des neuen Buches bilden, gründlich inhaltlich überarbeitet und vertieft, so dass keiner zu befürchten braucht, er kenne die entwickelten Gedankengänge und Argumentationslinien ohnehin schon. Außerdem gewinnen sie durch Aufbau und Anordnung im Buch eine neue, innere Kohärenz und zusätzliche Überzeugungskraft. Auch ist es nicht so, dass alle Kapitel in Vorstufen oder früheren Versionen bereits bekannt wären. So ist das 1. Kapitel, das über Tradition als ultimative Norm in der Liturgie handelt, grundlegend im Sinne eines echten Fundaments für die weitere Argumentation und wurde eigens für das neue Buch ausgearbeitet, in dem die vorgetragenen, prinzipiellen Überlegungen Kwasniewskis zum Thema systematisiert und zusammenhängend erstmals zur Diskussion gestellt werden.

Eine Grundeinsicht, zu der Kwasniewski in diesem Eingangskapitel seine Leser bereits hinlenkt, entfaltet er in Erwiderung auf einen häufig zu hörenden Einwand: „Erwägen wir die folgende Aussage: ‚Alles, was in der Messe zählt, ist, dass Jesus anwesend ist; alles andere ist zweitrangig.‘ Oder noch lakonischer: ‚Messe ist Messe.‘ Unzweifelhaft ist es eine wichtige Angelegenheit, dass Jesus gegenwärtig ist, weil wir andernfalls lediglich gewöhnliche Nahrung äßen. Aber die Liturgie hat eine weiter gefasste Zielsetzung, als uns ein Essen vorzusetzen, und selbst die Gegenwart Unseres Herrn hat eine größere Reichweite und Ausrichtung, als uns die sakramentale Kommunion zu ermöglichen. Die Messe ist der feierliche, öffentliche und formelle Akt der Anbetung, Danksagung und Bitte, den Christus als Ewiger Hoherpriester dem Vater darbringt und sein gesamter Mystischer Leib in Einheit mit ihm. Die Messe ist der vorzüglichste Akt, die Tugend der Gottesverehrung zu üben, indem wir Gott ein Opfer des Lobes darbringen, das seiner Herrlichkeit würdig ist. In ihr bricht das Himmelreich irdisch in Zeit und Raum ein. Sie ist das Hochzeitsfest des Königs der Könige. Sie ist die Wiederherstellung des gesamten geschaffenen Universums in seinem Alpha und Omega. Weil die Messe all dies ist, hat die Kirche seit alters und alle Zeiten hindurch keine Kosten und Mühen gescheut, die Feierlichkeit ihrer liturgischen Riten zu steigern und deren Schönheit zu vermehren. Wie Johannes Paul II. es richtig gesagt hat: ‚Wie die Frau, die Jesus in Bethanien salbte, hat die Kirche keine Angst, verschwenderisch zu sein, wenn sie die besten Mittel einsetzt, um ihr anbetendes Staunen über das unermessliche Geschenk der Eucharistie zum Ausdruck zu bringen.‘ Während es also wahr sein mag, dass die einzig notwendigen Dinge für eine gültige Messe im Römischen Ritus Weizenbrot, Wein von Trauben, ein Priester und die Konsekrationsworte sind, würde es eine eingeschränkte, minimalistische und spärliche Sicht der Dinge verraten, sie als hinreichend zu betrachten. Gott zu verherrlichen und unsere Seelen zu heiligen, kann nicht von der Angemessenheit des Gottesdienstes getrennt werden, in dem wir vor Gott hintreten.“

Die Kapitel werden oft abgeschlossen von der Wiedergabe historischer Kupferstiche, die zumeist eine Szene aus der traditionellen Messliturgie zeigen und die zusammen einen echten Schmuck für das Buch darstellen. Durchschnittlich zwei oder drei prägnante Zitate unterschiedlicher Persönlichkeiten, mitunter auch Bibelverse, die teils in aphoristischer Kürze wesentliche Ergebnisse und Anliegen der Kapitel vorwegnehmen, werden diesen jeweils vorangestellt.

Der Franziskanerorden bereitet dem römisch-tridentinischen Messritus den Weg

Eines der drei Zitate, die die Aussage des 1. Kapitels vorweg schon einmal bündeln, stammt zum Beispiel vom 1403 verstorbenen Zisterzienser Radulph von Rivo und lautet auszugsweise: „Mit diesen ‚profanen Neuerungen in Worten‘ beziehen wir uns auf neue Gesänge, neue Erzählungen, neue Lesungen und Orationen und auf dergleichen weitere Neuheiten, die nicht Teil des Gottesdienstes unserer Vorväter gewesen sind […] Ohne Grund sollten keine Neuerungen eingeführt werden, denn die Veränderung ist gefahrvoll, und ihr wird zu Recht angelastet, die Tür für [weitere] Neuerungen aufzutun.“ Wer auch schon Uwe Michael Langs Buch The Roman Mass gelesen hat, der wird in Radulph denjenigen Protagonisten wiedererkennen, der es mit Missbilligung quittiert hatte, dass Papst Nikolaus III. die neuen liturgischen Bücher, einschließlich des Messbuchs der Franziskaner, an der Römischen Kurie übernommen und ihre Verwendung den Kirchen der Stadt Rom verpflichtend auferlegt hatte, die andernfalls ihre liturgischen Eigenbräuche und ‑observanzen hätten bewahren können. Kwasniewski führt hier also jemanden als Kronzeugen seiner eigenen Überzeugung an, der die Entwicklungsstufe, die die Übernahme des Römischen Ritus durch den damals neuen und ziemlich neuartigen Franziskanerorden bewirkt und die dann auch auf die liturgische Praxis der Päpste zurückgestrahlt hatte, ganz entschieden kritisiert. Dieser Einfluss war aber ausgesprochen maßgeblich für jene Gestalt der Römischen Messe, die Papst Pius V. im Anschluss an das Konzil von Trient kodifiziert hat und für deren Recht und Verteidigung Kwasniewski in The Once and Future Roman Rite derart engagiert und begeisternd in die Bresche springt. Und er kann dies auch tun, denn wenn wir uns zurückerinnern, wie Franziskus das dem Verfall preisgegebene Kirchlein von San Damiano wieder aufbaut, dann schildert Thomas von Celano diesen Einsatz folgendermaßen: „Das erste Werk, das der selige Franziskus in Angriff nimmt, nachdem er die Befreiung aus der Hand seines leiblichen Vaters erlangt hat, ist, dass er Gott ein Haus baut. Er will es nicht neu aufbauen, sondern das altbrüchige richtet er wieder her, das altehrwürdige bessert er aus. Das Fundament reißt er nicht heraus, sondern baut auf ihm weiter. […] Als er nun zu dem Ort, wo wie gesagt die Kirche San Damiano vor langer Zeit erbaut worden war, zurückkehrte, stellte er sie mit dem Beistand der Gnade des Allerhöchsten in kurzer Zeit mit großem Eifer wieder her.“ Ganz ähnlich wie die Vorgehensweise des heiligen Franziskus beim Wiederaufbau einer Kirchenruine ist der Beitrag, den Kwasniewski mit seinem Buche leistet, und übereinstimmend sind die Prinzipien, die ihn bei der Rückgewinnung des authentisch überlieferten Römischen Ritus leiten sowie die Grundlagen und Voraussetzungen, die er damit für eine künftige Aufbauarbeit an der traditionellen Römischen Liturgie schafft.

Überlieferte Liturgie in Ost- und Westkirche

Was im 10. Kapitel folgt, ist der Blick auf eine Kirche, die, „mit zwei Lungenflügeln atmet“, ein Bild, mit dem Johannes Paul II. gerne und wiederholt das Zueinander von Ost- und Westkirche umschrieben hat. Jetzt geht es Kwasniewski darum, aufzuzeigen, wie die überlieferten Liturgien in Ost und West bei aller Unterschiedlichkeit in der Mentalität auf je eigene Weise eine Reihe von Qualitäten oder Merkmalen aufweisen, man könnte auch von Strukturprinzipien sprechen, die – vereinfacht ausgedrückt – dem byzantinischen und dem tridentinischen Ritus gemeinsam sind. Kwasniewski identifiziert zehn solcher Prinzipien, von denen hier nur das erste genannt und mit einem Zitat angeführt werden soll, das Prinzip der Tradition, weil wir so einerseits die Dynamik im Aufbau des Buches deutlicher spüren, dessen 1. Kapitel ja nicht ohne Grund der Normativität der Tradition für die Liturgie gegolten hat. Andererseits können wir an dem folgenden Zitat bereits ablesen, worauf Kwasniewski im 10. Kapitel abzielt, was sozusagen die Pointe ist: „Beide, die Byzantinische und die traditionelle Römische Liturgie sind das Resultat einer organischen Entfaltung eines alten apostolischen Kerns, das Jahrhunderte lebendigen Glaubens hindurch weitergegeben worden ist; trotz der Zuschreibung dieser oder jener Liturgie an bekannte Heilige wie den heiligen Johannes Chrysostomos, Basilius oder Gregor ist der Ritus an sich das anonyme Werk vieler heiliger Männer, von denen die meisten unbekannt sind. Keine Liturgie des Ostens und keine klassische im Westen ist von einem Arbeitskreis hervorgebracht worden, in dem eine Avantgarde von Experten zusammentritt, die den Kontakt zu den Leuten verloren haben und gefesselt sind von modischen Hypothesen und Theorien, die längst in sich zusammengebrochen sind. […] Es ist nicht der Fall, dass eine Liturgie gut ist, weil die Autorität der Kirche sie für gut hält; eher [verhält es sich so, dass sie gut ist, Anm. C. V. O.] weil die Kirche darum weiß, dass es eine Liturgie ist, die sie empfangen hat.“ Für sämtliche weiteren Prinzipien, die der Autor im 10. Kapitel darlegt, weist er entsprechend nach, wie die jeweiligen Qualitätsmerkmale die überlieferten Riten in Ost und West ausmachen und diese Riten gleichsam miteinander verwandtschaftlich verbinden, wohingegen die entsprechenden Charakteristika im Novus Ordo Missae (als pars pro toto der gesamten Liturgiereform Pauls VI.) fehlen oder im günstigeren Falle verkümmert vorkommen. Byzantinischer und tridentinischer Ritus sind einander Brüder; der montinianische Ritus steht als Fremdling abseits.

Quelle: Katholisches.info

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