Die Forderung Kardinal Gerhard Ludwig Müllers an die orthodoxen Kirchenführer, insbesondere an den ökumenischen Patriarchen, ist mehr als ein diplomatischer Wunsch. Es ist ein prophetischer Ruf zur Rückkehr zur Einheit – nicht als blosse institutionelle Vereinheitlichung, sondern als tief geistliche und sakramentale Wirklichkeit, die aus der Wahrheit Christi selbst entspringt.

In einer Zeit, in der selbst in der römischen Kirche Verwirrung über zentrale Glaubensfragen herrscht, gewinnt die klare Stimme des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation an Gewicht. Kardinal Müllers Appell ist kein Ausdruck politischer Nostalgie nach vormodernem Einheitsdenken – sondern ein Ruf zur geistlichen Rückbesinnung. Denn wahre Einheit ist niemals Beliebigkeit, sondern immer Frucht der Wahrheit. Der Heilige Geist eint nicht im Kompromiss, sondern in der gemeinsamen Bejahung des geoffenbarten Glaubens.

Die zerrissene Christenheit – zwischen Rom, Byzanz, Moskau und zahllosen protestantischen Richtungen – ist ein Skandal, der die Wirksamkeit des Evangeliums verdunkelt. Doch noch grösser wäre der Skandal, wenn diese Einheit nicht aus der Wahrheit geboren würde. Die Kirche kann sich nicht um den Preis der Glaubenssubstanz vereinen. Darum sind Müllers Worte auch Mahnung an die eigene römische Kirche: Wer nach Einheit ruft, muss zuerst selbst in der Wahrheit stehen.

Was Müller im Hintergrund mitschwingen lässt – und was gerade in Zeiten eines anstehenden Konklaves an Brisanz gewinnt – ist die stille Hoffnung auf einen Papst, der fähig ist, den Blick wieder zu heben: weg von kirchenpolitischer Taktik und hin zu einer Theologie der Heiligkeit. Denn eine Kirche, die nur sich selbst verwaltet, verliert ihre Strahlkraft. Nur eine Kirche, die aus dem Glauben lebt, kann auch in der Ökumene glaubwürdig sein.

Die Einheit der Christen wird kommen – aber nur durch Bekehrung, nicht durch Verhandlungen. Müllers Ruf ist ein geistlicher Weckruf. Er richtet sich an die orthodoxen Kirchen, aber ebenso an die römisch-katholische. Und an uns alle. Denn Einheit beginnt im eigenen Herzen – in der Treue zur Wahrheit, die uns Christus geschenkt hat.

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