NEWS: Kardinal Sarah und die Liturgie

Die französische Wochenzeitung Valeurs Actuelles (Aktuelle Werte) veröffentlichte ein ausführliches Interview mit Kardinal Robert Sarah, dem emeritierten Präfekten der römischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung (heute Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung). Der Kardinal, der bis 2021 im Amt war, erteilt darin, so das Wochenmagazin, eine „Lektion“ in Sachen Zivilisation. Er nimmt aber auch zum Motu proprio Traditionis custodes Stellung und sagte: „Es gibt in der Kirche ein tiefes Unbehagen und ein echtes Leiden an der Liturgie“. Hier die betreffende Stelle des Interviews:

Valeurs Actuelles: Das Motu proprio Traditionis Custodes hat bei den Katholiken, die dem traditionellen Ritus verbunden sind, viel Unverständnis und Entmutigung hervorgerufen: Was sagen Sie Priestern, die in lateinischer Sprache zelebrieren und durch die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt sind, entmutigt sind? Wie erklären Sie die Diskrepanz zwischen dem Erfolg dieser Liturgie, vor allem bei der Jugend, und dem Mißtrauen, das sie in einem Teil der Kirche hervorruft?

Kardinal Sarah: Die Liturgie ist keine Nebensache, sie drückt unsere Art und Weise aus und formt sie, mit Gott in Beziehung zu treten. Die Liturgie ist keine vage Wahlmöglichkeit, sondern eine grundlegende Quelle der christlichen Seele. Sie ist die Anerkennung, Verehrung und die Zelebration der christlichen Mysterien und des göttlichen Handelns. Die Formen des Gottesdienstes prägen unsere christliche Kultur. In der Tat sind alle unsere Gesten und Worte in der Liturgie durch jahrhundertelange christliche Erfahrung geläutert und geformt worden. Die Liturgie folgt kodifizierten Mustern, die über die Generationen von Jahrtausenden hinweg weitergegeben wurden.
Wir müssen aber den Mut und die Klarheit haben zu erkennen, daß die katholische Liturgie heute krank ist. Papst Franziskus selbst hat dies unterstrichen. Warum sind so viele junge Menschen von der alten Liturgie fasziniert? Seien wir ehrlich: Es wäre allzu einfach, ihnen bewußt ein fehlgeleitetes psychologisches Bedürfnis nach Identität zu unterstellen. Sollten wir nicht vielmehr zugeben, daß viele Feiern sie enttäuschen, daß sie dort nicht das finden, wonach ihre Seele zutiefst dürstet? Viele entkirchlichte Liturgien lassen sie hungernd zurück.
Jede Seele sucht nach Gott, seiner Größe, seiner Majestät und seiner Schönheit. Man kann sich aber Gott nur mit Ehrfurcht, religiösem Respekt und kindlichem Zittern nähern. Wir brauchen heilige Zeichen, um zu Ihm zu gehen. Unser Körper muß sich hinknien, damit unsere Seele von Gott umarmt werden kann. Wir müssen uns vom Profanen im Alltag abwenden, damit Gott uns an der Hand nehmen und zu seinem heiligen Herzen führen kann. Manchmal wird die Auffassung vertreten, daß die Liturgie durch die Verwendung profaner Musik, durch künstlich gelockerte Haltungen, durch die Beseitigung sakraler Trennungen und durch die architektonische Nivellierung der Kirchen zugänglicher gemacht werden sollte. Das ist eine tragische Illusion. All diese Optionen führen uns von Gott weg, anstatt uns Ihm näherzubringen.
Da Sie mich nach dem Motu proprio Traditionis custodes fragen, möchte ich mich ausdrücklich dazu äußern. In der Kirche gibt es ein tiefes Unbehagen und ein echtes Leiden an der Liturgie. Dies beweist, daß die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestrebte Reform noch nicht abgeschlossen ist. Sie hat ihr Gleichgewicht noch nicht gefunden.
Benedikt XVI., der das Zweite Vatikanische Konzil treu liest, hat uns definitiv gelehrt, daß die alte Liturgie und die neue Liturgie weder widersprüchlich noch gegensätzlich sind, sondern in organischer Kontinuität gedacht werden müssen. Das ist eine Lehre, die sich inzwischen durchgesetzt hat. Papst Franziskus seinerseits erinnerte uns daran, daß sich diese beiden Liturgien nicht als zwei einander fremde Welten nebeneinander entwickeln sollten. Er lehrt auch nachdrücklich, daß das Zweite Vatikanische Konzil die Praxis dieser beiden Liturgien leiten und erhellen sollte. Allzu oft sind die Liturgien der Pfarreien jedoch nicht konzilstreu. Zum Beispiel: Kommt dem Gregorianischen Gesang die Stellung zu, die verlangt wird?
Von nun an und in den kommenden Jahren wird es Aufgabe der Bischöfe und Päpste sein, die praktischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Es ist richtig, daß sich die derzeitige liturgische Praxis weiterentwickeln muß. Sie muß die besten Elemente des Alten im Lichte des Konzils integrieren. Die Zelebrationsrichtung ad Deum bzw. zum Kreuz, der weitgehende Gebrauch der lateinischen Sprache, die Verwendung des alten Offertoriums und der Gebete, die „zu Füßen des Altars“ [Stufengebet] gesprochen werden, der wichtige Platz, der der Stille eingeräumt wird, sind für mich Elemente, die es ermöglichen würden, endlich den liturgischen Frieden zu erreichen und die Reform durchzuführen, die das Zweite Vatikanische Konzil wirklich wollte und die wir noch nicht erreicht haben.

Quelle: Katholisches.info

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