Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) stellte eine der bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte der katholischen Kirche dar. Es versprach eine Erneuerung des Glaubenslebens und eine Öffnung hin zur modernen Welt. Doch für viele konservative Stimmen innerhalb der Kirche, darunter auch der britische Erzbischof George Dwyer, löste die Umsetzung der Reformen tiefe Besorgnis aus. Zehn Jahre nach dem Abschluss des Konzils, im Jahr 1973, artikulierte Erzbischof Dwyer in einem viel beachteten Vortrag seine scharfe Kritik an den Entwicklungen in der Kirche, die er als bedrohlich für die Einheit und Integrität des Glaubens ansah.
Kritik an der liturgischen Reform
Einer der zentralen Punkte von Dwyers Kritik war die liturgische Reform, die im Rahmen des Konzils eingeleitet wurde. Die Abschaffung des lateinischen Messritus und die Einführung der Volkssprache in der Liturgie stiessen bei traditionellen Katholiken auf heftigen Widerstand. Dwyer sah in diesen Neuerungen eine Verwässerung der sakralen Atmosphäre, die durch die Jahrhunderte gewachsen war. In seinen Augen drohte die Liturgie zu einem blossen Gemeinschaftsritual herabzusinken, das den heiligen und mystischen Charakter der Messe in den Hintergrund drängte. Die sakrale Würde des Gottesdienstes, so Dwyer, sei durch die zu schnellen und zu radikalen Veränderungen gefährdet.
Der Verlust an Autorität und Klarheit
Ein weiterer kritischer Punkt, den Dwyer in seiner Rede von 1973 ansprach, war die vermeintliche Erosion der kirchlichen Autorität. Nach dem Konzil erlebte die Kirche eine Phase intensiver theologischer Debatten, in denen viele Dogmen und Traditionen zur Diskussion gestellt wurden. Dwyer warnte davor, dass diese Entwicklungen zu einer relativen Sicht auf die Glaubenslehre führten. Besonders die Pluralisierung der theologischen Ansätze und die wachsende Rolle der Laien in der Kirche machten ihm Sorgen. Er sah hierin eine Bedrohung für die Hierarchie der Kirche, die ihrer Verantwortung als Lehrer des Glaubens nicht mehr gerecht würde. Für Dwyer war die Kirche nicht dazu da, der Welt nachzugeben, sondern die zeitlosen Wahrheiten des Glaubens klar und kompromisslos zu verkünden.
Säkularisierung und Anpassung an die moderne Welt
Die Versöhnung mit der modernen Welt, ein zentrales Anliegen des Konzils, war für Dwyer ein weiterer Stein des Anstosses. Er kritisierte, dass die Kirche sich zu sehr dem Zeitgeist anpasse und dabei ihre eigenen Prinzipien verliere. Besonders die Öffnung gegenüber säkularen Werten, wie der Betonung individueller Freiheit und Toleranz, sah er kritisch. Diese Entwicklungen, so Dwyer, könnten die Kirche in einen moralischen Relativismus führen, der ihren göttlichen Auftrag untergrabe. Anstatt sich zu sehr der Welt anzupassen, forderte er eine stärkere Rückbesinnung auf die traditionellen Lehren und die moralische Strenge, die über Jahrhunderte das Fundament der Kirche gebildet hätten.
Ein Aufruf zur Rückkehr
Am Ende seines Vortrags im Jahr 1973 appellierte Erzbischof Dwyer an die Gläubigen, sich nicht von den Neuerungen des Postkonzils überwältigen zu lassen. Stattdessen forderte er eine Rückkehr zu den Wurzeln des katholischen Glaubens, eine Erneuerung im Geiste der Tradition und der kirchlichen Autorität. Die Krise, die er sah, war für ihn kein unüberwindbares Problem, sondern eine Gelegenheit, die wahre Identität der Kirche wiederzufinden.
Trotz seiner scharfen Kritik war Dwyer jedoch kein Gegner des Konzils selbst, sondern vielmehr der Meinung, dass die Umsetzung der Reformen zu weit gegangen war. Für ihn standen die letzten zehn Jahre im Zeichen einer Überdehnung der ursprünglichen Absichten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Er warnte davor, dass die Kirche, wenn sie diesen Weg weiter verfolge, in eine tiefe Spaltung geraten könnte, die ihre Mission in der Welt ernsthaft gefährden würde.