Franziskus war von sogenannten „reformorientierten“ Kräften in der Kirche als ihr Kandidat auf den Stuhl Petri gehoben worden. Ihm sollte die Aufgabe zukommen, die „restaurative Phase“ des langen Doppelpontifikats von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu beenden. Das war ein kirchenpolitisches Manöver, wie schnell klar wurde, weil seine Akteure (wie Kardinal Godfried Danneels) und Mitwisser (wie Austen Ivereigh) vor Zufriedenheit über den gelungenen Coup fast geplatzt wären, wenn sie es nicht in die Welt hinausposaunt hätten.
Das paßt zu Franziskus, der sich nach dem „Philosophen“ (Johannes Paul II.) und dem „Theologen“ als „Politiker“ auf dem Papstthron etablierte. Damit verlieren immerhin tiefverwurzelte Klischees ihre Bedeutung. Der vielgescholtene, da vor allem politisch aktive Papst Julius II. (1503–1513) war an Bedeutung und Reichweite zu Franziskus bestenfalls ein Regionalakteur.
Was hat Franziskus erreicht, was nicht?
Er hat Paradigmenwechsel vollzogen, wie er es bald nach seiner Wahl mehr oder weniger offen ankündigte. In seinen kirchlichen Entscheidungen vertrat er eine progressive Agenda und war bemüht, die in ihn gesetzten Hoffnungen seiner Wahlhelfer zu erfüllen. Einige der Stichwörter lauten Dezentralisierung und Synodalität. Es gehört zu den zahlreichen Paradoxa, daß sein Pontifikat das zentralistischste der ganzen Kirchengeschichte ist. Als Jesuit ist Franziskus der Überzeugung, daß es notfalls einer harten Hand bedürfe, um die „richtigen“ Schritte umzusetzen. Es erstaunt, wie stillschweigend dieser radikale Zentralismus von seinen Unterstützern hingenommen wird.
Insgesamt hat die anfängliche Euphorie progressiver Kirchenkreise jedoch sukzessive nachgelassen. Das liegt in der Natur ihres Denkens: Dem ewigen Unruhestand geht es immer zu langsam und zu wenig weit. Das brachte Sand ins Getriebe und mündete wie im Verhältnis zur progressiven Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz in einer neuen Distanz, die nun unmittelbar vor dem Bruch steht. Dabei will man eigentlich so ziemlich dasselbe. Deshalb darf in dieser Uneinigkeit durchaus ein Wink der Vorsehung erkannt werden.
Jene, die Franziskus hofierte und bediente, zeigten sich im Laufe des Pontifikats zunehmend reserviert. Jene, die er bekämpft – die Vertreter der Tradition –, halten stand, mehr als es erwartet wurde. Es läuft nicht alles wie geplant.
Wer steht dann eigentlich hinter dem regierenden Papst? Die üblichen Jubelperser vom Dienst und die Technokraten, aber auch jene, man muß es sagen, denen die Gabe der Unterscheidung der Geister nicht gerade von Bedeutung scheint. Wer Benedikt XVI. zujubelte und nun im gleichen Brustton auch Franziskus, dürfte etwas verpaßt haben. Die Beamten an der Römischen Kurie sind damit nicht gemeint, denn deren Vertrauen hat sich Franziskus erfolgreich verscherzt. Dafür denke ich an einen der bekanntesten Priester im deutschen Sprachraum, der im katholischen Rundfunk tätig ist.
Die zahlreichen Maßnahmen von Franziskus spiegeln eine lange Kette von Fehlentscheidungen wider (Anerkennung von wiederverheirateten Geschiedenen, Zweitehe; Aufweichung der Kommunionzulassung: protestantische Ehegatten, Homosexuelle, Abtreibungspolitiker; Anerkennung der Homosexualität). Wer schon die überlieferte Glaubens- und Morallehre nicht als Maßstab akzeptiert, sollte sich zumindest die Frage nach dem Cui bono stellen. Haben die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit einen Nutzen daraus gezogen? Wenn ja, versteckt er sich gut.
Gescheiterte Brückenschläge
In der Außenwirkung versuchte Franziskus zunächst einen Brückenschlag zu den Evangelikalen. Als dieser spätestens mit den Vorwahlen für die US-Präsidentschaftswahlen 2016 scheiterte, wiederholte er ihn zu den Lutheranern. Doch auch dort zeigen sich keine Ergebnisse. Evangelikale und Lutheraner ließen sich zwar gerne mit Franziskus ablichten. Sie sahen darin aber mehr einen Triumph ihrer eigenen Sache, als Bereitschaft zu zeigen, sich ernsthaft mit der kirchlichen Lehre auseinanderzusetzen.
Die mit Nachdruck verfolgten Bemühungen, ein Bündnis mit der radikalen Linken zustande zu bringen, hatte auch dort kaum einen anderen Effekt. Von der „Papistischen Internationale“ als Nachfolgerin der Kommunistischen Internationale war die Rede und das Wall Street Journal sah in Franziskus bereits den neuen Anführer der globalen Linken. Kommunisten aus verschiedenen Ländern pilgerten in den Vatikan – wer hätte sich das schließlich gedacht, einmal dort den roten Teppich ausgerollt zu bekommen –, doch damit war die Sache auch schon erledigt. Einer der päpstlichen Freunde, der Sandinist Daniel Ortega, verfolgt inzwischen die Kirche ganz offen und hält auch die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl für verzichtbar. Ein Hauptaktionsfeld des Papstes, gute Beziehungen zum kommunistischen Regime in Peking herzustellen, zeitigt Ergebnisse im Millimeterbereich, und das nicht nur vorwärts.
Wo ist Franziskus also erfolgreich?
In seiner Anpassung der Kirche an die globalistische Agenda. In diesem Bereich wurden große Schritte unternommen. Er führte die Kirche auf Positionen, von denen sich seine Vorgänger inhaltlich, aber auch was die Verflechtungen betrifft, bewußt ferngehalten hatten. Die politische Agenda der UNO für die Zeitspanne von 2015 bis 2030 wurde mit Franziskus als Festredner beschlossen. Bei dieser Gelegenheit konnte er erstmals als höchster Religionsvertreter der Welt auftreten. Eine Rolle, die er durchaus anstrebt. Im Gegenzug erhielt die Agenda nicht nur seinen religiösen Segen, sondern den Papst gleich als Aushängeschild, Werbeträger und moralische Autorität dazu. Franziskus stellte sich an die Spitze der Forderung nach einem uneingeschränkten Migrationsrecht. Ebenso sprang er zum gewünschten Zeitpunkt auf den Zug des Klimageschwätzes auf und geht als Staatsoberhaupt mit den radikalsten Corona-Maßnahmen und als Bannerträger der Anti-Covid-19-Präparate in die Geschichte ein. Deren Zulassung, Bewerbung und Durchsetzung durch die Staaten, einschließlich der Impfpflicht, offenbart sich immer mehr als konzertiertes Verbrechen (Veröffentlichung der Pfizer-Dokumente in den USA und der Chat-Kommunikation zwischen Großbritanniens Gesundheitsminister Hancock und dem damaligen Premierminister Johnson zur Manipulation der öffentlichen Meinung), anders ausgedrückt: als echte Verschwörung.
Franziskus war es, der in der Corona-Krise – die fast ein Drittel seines Pontifikats abdeckte – verhinderte, daß die Kirche den Menschen nicht nur nahe ist, sondern den entscheidenden Kontrapunkt darstellt. So wurde Corona für die Kirche zur wohl größten verpaßten Chance des vergangenen halben Jahrhunderts. Die Schließung der Wasserbecken in Lourdes, die Meßverbote, die Entleerung der Weihwasserbecken und die Desinfizierung des Petersdomes, einschließlich der Confessio des Petrusgrabes, werden als dunkle Schatten über diesem Pontifikat hängenbleiben.
Schließlich war es Franziskus, der den Widerstand gegen die Tötung ungeborener Kinder durch Abtreibung, das größte Menschheitsverbrechen schlechthin, abschwächte, weil ihm die Annäherung an einflußreiche Abtreibungsverfechter wichtiger ist.
Vor allem steht er unumstritten an der Weltspitze in seiner Propagierung einer „Brüderlichkeit aller Menschen“. Der erste Tempelkomplex, der eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche verbindet, wurde soeben in Abu Dhabi fertiggestellt und läutet eine neue Ära der Religionsgeschichte ein. Den Anstoß dazu gab die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung mit dem Großimam von Al-Azhar im Februar 2019. Der Text birgt die „Häresie aller Häresien“ in sich. Der Preis für die päpstliche Brüderlichkeitspolitik ist also hoch, viel zu hoch, wie gläubige Katholiken meinen. Voraussetzung für diese Politik ist, daß es letztlich des Friedens wegen egal sei, welcher Religion man angehört. Egal welcher Religion? Sagt der Papst? Das dahinterstehende Programm wurde von den Freimauern im 18. Jahrhundert entworfen. In Beethovens Ode an die Freude klingt es an, weshalb sie nicht von ungefähr zur EU-Hymne erkoren wurde. Natürlich kann man immer alles „richtig“ verstehen oder umdeuten. Die Ideengeschichte sollte dabei allerdings nicht einfach ignoriert werden. Das rächt sich. Franziskus ist es, der in seiner Enzyklika Fratelli tutti den Dreiklang der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sich programmatisch zu eigen machte und eine „offene Welt“ fordert, was der „offenen Gesellschaft“ eines George Soros verblüffend nahekommt. Diese Auflösung von Grenzen und Verwirrung von Begriffen nützt wem?
Wer also zufrieden sein kann mit seinem Pontifikat, sind jene Kräfte, die global den Ton angeben. Seine Widerständigkeit im Ukraine-Konflikt, einseitig dem Narrativ der US-Regierung Biden zu folgen, wird ihm bisher großzügig nachgesehen. Man beschränkt sich darauf, die Mitschuld an der Eskalation des Konflikts (der nicht erst seit einem Jahr, sondern seit 2014 tobt), die Franziskus der NATO zuweist, zu verschweigen. Kritik an der US-Regierung meidet der politisch denkende Papst ebenso wie Kritik an Putin oder der russischen Regierung. Franziskus will als Vermittler auftreten können. In dieser Frage zeigt sich sein Widerwille, sich an eine Position ketten zu lassen, die nicht die seine ist, und Freiräume aus der Hand zu geben. Zu seinem zehnten Thronjubiläum scheint er im Ukraine-Konflikt eine Friedensinitiative Israels zu unterstützen. Jedenfalls ließ Tel Aviv dergleichen am Wochenende wissen. Franziskus selbst wiederholte zur gleichen Zeit seine Bereitschaft, nach Kiew wie nach Moskau zu reisen, aber nicht um zu verhandeln, sondern um zu vermitteln.
Doch kehren wir vom politischen Feld, auf dem sich Franziskus sichtlich zu Hause fühlt, zu dem der Kirche zurück.
Das Feindbild der Ära Bergoglio
Franziskus hat ein Feindbild. Dieses Feindbild ist Progressiven gemeinsam. Darin finden sich er und seine einstige Anhängerschaft heute noch am ehesten zusammen, im Kampf gegen die überlieferte Messe und die Tradition. Das traditionelle Segment in der Kirche ist zahlenmäßig klein, so klein, daß man staunt, mit welcher Vehemenz es, allen voran von Santa Marta, verfolgt wird. Die Tradition ist jedoch der ungeliebte, weil unerbittliche Spiegel, der den heutigen Kirchenvertretern vorgehalten wird. Ihn zu zerschlagen ist daher geradezu von existentieller Bedeutung. Die vollen Priesterseminare der Tradition sind nunmal eine schreiende Anklage gegen die offensichtliche Fruchtlosigkeit des progressiven Hyperaktivismus. Und sie bestätigen die Gewißheit, daß sich die Tradition langsam, aber stetig ausbreitet und auf ihren Moment wartet.
Franziskus zertrümmerte systematisch alles, was vom Pontifikat Benedikts XVI. als wirklich bedeutsam bezeichnet werden konnte. Nichts ist davon übriggeblieben, nicht Summorum Pontificum, nicht die Übersetzung der Wandlungsworte pro multis als „für viele“ anstatt „für alle“, nicht die Stärkung des Eucharistieverständnisses und die Wiederentdeckung der eucharistischen Anbetung, nicht die Wiederherstellung des Priesterbildes nach dem Vorbild des heiligen Johannes Maria Vianney anstatt seiner Ausrichtung am kommunistischen Don Andrea Gallo oder am pädophilen Don Lorenzo Milani.
Die Zertrümmerung des Ordens der Franziskaner der Immakulata darf nicht vergessen werden, denn sie bildet den Auftakt zu jenem Feldzug, der im Motu proprio Traditionis custodes vorerst seinen Höhepunkt gefunden hat.
Vertreter des päpstlichen Hofstaates argwöhnen, daß die „Reformgegner“ in der Kirche eine Front bilden und Franziskus zum Rücktritt drängen könnten, um die Handbremse zu ziehen und eine Kurskorrektur zu erzwingen. Diese Front gibt es aber nicht, und Franziskus läßt sich kirchenintern von niemandem aus dem Amt drängen. Er will, wie er selbst ausreichend erklärte, „Prozesse“ anstoßen, die „irreversibel“ sein sollen. Damit funktioniert es allerdings nicht immer wie gewünscht, andernfalls wäre es nicht notwendig, laufend zu betonen, daß die Liturgiereform von 1969 „unumkehrbar“ sei. Benedikt XVI. gebührt das große Verdienst, durch sein Motu proprio Summorum Pontificum unmißverständlich klargestellt zu haben, daß der überlieferte Ritus weder abgeschafft noch verboten werden kann. Daran ändern weder das Motu proprio Traditionis custodes etwas noch die häufigen Wiederholungen, daß die Liturgiereform irreversibel sei.
Franziskus wird jedoch, soviel steht fest, weiterhin neue „Prozesse“ anstoßen, in der Hoffnung, daß sie nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Allein schon deshalb, weil es so viele sind, daß sich seine Gegner nicht auf alle konzentrieren können und insgesamt Durcheinander und Verwirrung entstehen. Er ist diesbezüglich vom Hegelschen Denken tief durchdrungen, das er – nimmt man seine eigenen Aussagen zusammen – nicht durch Hegel, sondern durch den Marxismus vermittelt bekam.
Die homosexuelle Verbissenheit
Die sexuelle Besessenheit der kirchlichen 68er, die Morallehre zu zertrümmern, machte Franziskus zu einem Hauptbetätigungsfeld. Voreheliche Beziehungen, Pille, künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft sind durch ihn aus dem offiziellen Kirchendiskurs verschwunden und die Homosexualität ist zum scheinbar wichtigsten Thema aufgestiegen. In keinem Bereich setzte Franziskus mehr Initiativen als zur Anerkennung der Homosexualität. Da er das Thema nicht direkt ansprechen kann, sonst machen ihm die Gegenspieler ein „ großes Casino“, wie er seine Taktik 2015 seinem Vertrauten Erzbischof Bruno Forte erklärte, muß er auf Gesten ausweichen. Diese setzt er dafür umso üppiger. Die Wirkung wird jedoch von kurzer Dauer sein. Wer ernsthaft glaubt, die Kirche könne mit Homo-Segnungen oder dergleichen punkten, lebt auf einem anderen Stern. Da liegt die Annahme näher, daß hier Kirchenleute aus weit niedrigeren, eigennützigen Interessen handeln. Die Homo-Häresie ist wie jede Häresie ein Gift.
Die Homosexualität ist seit den 80er Jahren der Klassiker der sexuellen Revolution. AIDS wurde zum großen Türöffner. Ein Umstand, der nach drei Jahren der inszenierten Corona-Pandemie vielleicht noch einmal unter die Lupe genommen werden sollte. Franciscus dixit: Heterosexuelle und Homosexuelle sind alle „Kinder Gottes“. Die Homosexuellen und Transsexuellen, die Franziskus in den vergangenen zehn Jahren zugeführt wurden, sprechen eine klare Sprache. Am schwersten wiegt, daß er für sich bei der Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchsskandals Glaubwürdigkeit beansprucht, aber die Homosexualität, die für mindestens 80 Prozent der Mißbrauchsfälle durch Kleriker verantwortlich ist, eisern ausklammert. Nein, Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Und das ist grundsätzlich ein Problem von Franziskus. Seine formlose, ungezwungene Art, die sein Markenzeichen zur Gewinnung von Sympathien ist, führt gleichzeitig zur Banalisierung des Papstamtes, das in ihm von vielen, die mit der Kirche nicht eng verbunden sind, nicht mehr wirklich ernst genommen wird.
Benedikt XVI. warnte vor der aufziehenden Gefahr, daß die Welt keine Lehrmeister mehr akzeptiert, weil sie nicht mehr hören will. Franziskus geht auch hier den einfachen Weg: Er fördert diese Entwicklung, indem er auf den Anspruch verzichtet, die Welt zu lehren. Die Autorität, lehren zu können, gab er selbst preis, indem er begriffliches Chaos erzeugte und Verwirrung stiftete. Ein bezeichnendes Beispiel ist sein Umgang mit der Sünde. Die überlieferte Sündenlehre ignorierte Franziskus und führte stattdessen neue Sünden ein, wie die Umweltsünde und die Mafia. Gleiches gilt mit der Exkommunikation, die, so der Eindruck, für niemanden mehr gilt, außer für die Mafiosi. Damit untergräbt das amtierende Kirchenoberhaupt die mit seinem Amt verbundene Autorität ganz ohne feindliches Zutun äußerer Kräfte.
So bleibt auch nach zehn Jahren ein verwirrendes, häufig auch verstörendes Bild eines Pontifikats der Selbstdemontage, und über allem die bereits genannte tragische Frage: Cui bono?
Quelle: katholisches.info