Tag Archiv für mittwochs kolumne 30.03.22

Mittwochskolumne vom 30.03.2022

Kirche im Umbruch

Gestern wurden wieder die Zahlen zu den Kirchenaustritten der katholischen und der reformierten Landeskirche veröffentlicht. Wieder stiegen die Zahlen der Kirchenaustritte bei beiden Landeskirchen auch in absoluten Grössen an. Wer gedacht hat, dass die absoluten Austrittszahlen sich senken werden und vielleicht nur die relativen Austrittszahlen stabil bleiben, hat sich massiv getäuscht. Noch mehr täuschten sich die Menschen, die glaubten, dass durch die Corona-Krise den Menschen wieder die Wichtigkeit der Kirche bewusst wird und dadurch eine Kehrtwende bei den Austritten erreicht wird. Ich möchte hier kurz analysieren, weshalb die beiden Annahmen so falsch waren.

Es ist ein offenkundiger Fakt, dass nur ein Bruchteil der Kirchgemeindemitglieder auch aktive Gläubige sind. Jahrelang sind diese Menschen weiterhin Mitglied der Landeskirchen geblieben, weil es zum guten Ton gehörte, einer Landeskirche anzugehören. Umso mehr Menschen austreten, desto geringer wird die Hemmschwelle, selbst den Austritt zu prüfen und ihn sogar durchzuziehen. Jeder Austritt eines Mitglieds vergrössert daher die Wahrscheinlichkeit bei anderen Mitgliedern, dass sie den Austritt prüfen und ihn auch früher oder später vollziehen. Die absoluten Zahlen der Austritte werden daher in der Zukunft bestimmt steigen und die relativen Zahlen sogar explodieren. Sind wir nun bei 2.5% Austritten bei beiden Landeskirchen angekommen, werden diese in der nahen Zukunft vielleicht sogar zweistellige Ausmasse annehmen. Die Planungssicherheit für die Finanzverantwortlichen der Kirchgemeinden wird gegen Null gehen.

Die weitere Fehlannahme, die immer wieder gehört wird, ist diejenige, dass eine Krise die Menschen wieder an die Kirche binden wird. Nun sind es in der Schweiz de facto schon zwei Generationen, die fast keinen Bezug zur Kirche haben. Weshalb sollten Menschen, die nie eine Beziehung zu Gott und zur Kirche pflegten, diese gerade in einer Krise suchen? Eher werden solche Menschen das versuchen zu bewahren, was ihnen bisher als wichtig erschien, nämlich die materielle Sicherheit. Daher wird das finanzielle Argument, aus der Kirche auszutreten, in einer Krise noch wichtiger. Es ist daher umgekehrt eher so, dass Menschen vermehrt austreten werden in Krisenzeiten.

Wenn wir die Zahlen ganz nüchtern betrachten, dann ist klar, dass die Zeiten der Kirche als Steuergemeinschaft bald der Vergangenheit angehören. Ich persönlich bin ein Befürworter des dualen Systems, aber sehe trotzdem ein, dass es keine Rettung mehr für ein System gibt, dem die Mitglieder in Scharen davonlaufen. Die Kirche in der Schweiz wird wieder auf eine kleine Gemeinschaft der Glaubenden zusammenschrumpfen, in der jeder seinen Teil dazu beitragen muss, dass die Kirche gedeiht. Dies nicht nur mit Geld. Einfach wird es nicht und diejenigen, die glauben, dass sich durch eine Abschaffung der Steuern alle Probleme auf einmal lösen werden, täuschen sich. Es wird viel Weisheit und Geduld brauchen, aus den Trümmern dessen, was übrig gelassen wird, eine neue und authentische Kirche aufzubauen. Trotzdem müssen wir es anpacken.