Kaum hat Papst Leo XIV. die Schlüssel Petri übernommen, steht er bereits vor einer tiefgreifenden Entscheidung, die nicht nur liturgisch, sondern auch kirchenpolitisch von enormer Bedeutung ist: Wie soll er mit den Einschränkungen umgehen, die sein Vorgänger Papst Franziskus der überlieferten lateinischen Messe auferlegt hat?
Mit dem Motu proprio Traditionis custodes vom 16. Juli 2021 setzte Papst Franziskus der zuvor unter Benedikt XVI. geschaffenen liberaleren Ordnung ein abruptes Ende. In der Einleitung heisst es deutlich: „Die liturgischen Bücher, die von den heiligen Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. im Einklang mit den Dekreten des Zweiten Vatikanischen Konzils promulgiert wurden, sind der einzige Ausdruck der lex orandi des Römischen Ritus.“ Damit wurde der ausserordentliche Ritus faktisch entkanonisiert – ein dramatischer Bruch mit der Linie seines Vorgängers.
Papst Benedikt XVI. hatte 2007 in Summorum Pontificum noch bekräftigt: „Was für frühere Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und gross.“ In Artikel 1 des Motu proprios heisst es weiter: „Der Römische Messritus, wie er in der Editio typica von 1962 enthalten ist, wurde niemals abgeschafft.“ Diese Formulierung stellte klar, dass es sich bei der tridentinischen Messe nicht um ein „veraltetes“ oder „abgeschafftes“ Relikt handelt, sondern um eine weiterhin legitime Form der römischen Liturgie.
Zwischen Bruch und Kontinuität
Papst Leo XIV. sieht sich nun in der schwierigen Lage, zwischen diesen beiden gegensätzlichen Positionen eine neue Linie zu finden. Während Franziskus in Traditionis custodes betonte, dass „immer deutlicher wurde, dass eine zunehmende Zahl von Gemeinschaften den Gebrauch dieser Form der Messe mit einer Ablehnung nicht nur der liturgischen Reform, sondern des Zweiten Vatikanischen Konzils selbst verband“, sprach Benedikt XVI. von einem „inneren Reichtum“ und „ehrwürdigem Gebrauch“, der der Kirche nicht verloren gehen dürfe.
Leo XIV. muss entscheiden, ob er die harte Linie seines Vorgängers fortführt oder einen Schritt zurücktritt – etwa durch eine Neuformulierung der Zuständigkeiten der Ortsbischöfe, die unter Traditionis custodes zum alleinigen Gatekeeper der überlieferten Messe geworden sind. Bereits Benedikt XVI. hatte befürchtet, dass ein solcher Bischofsvorbehalt faktisch zur Verdrängung der tridentinischen Messe führen könnte.
Ein Zeichen der Versöhnung setzen
Gerade in einer Zeit, in der die Kirche gespalten erscheint – zwischen Traditionalismus und Progressismus, Zentralismus und Synodalität – könnte Leo XIV. mit einer versöhnlichen, aber klaren Entscheidung Massstäbe setzen. Eine behutsame Rücknahme der Restriktionen, begleitet von einer theologischen Reflexion über die Bedeutung der liturgischen Tradition, könnte helfen, Gräben zu überbrücken. Dabei ginge es nicht um ein einfaches „Zurück“, sondern um eine „Hermeneutik der Kontinuität“, wie Benedikt XVI. sie beschrieb – ein organisches Weiterwachsen aus dem überlieferten Glauben, nicht ein Bruch mit der Vergangenheit.
Eine Entscheidung mit Tiefenwirkung
Papst Leo XIV. wird sich fragen müssen, ob liturgische Einheit durch das Verbot gewachsener Formen erreicht werden kann – oder ob eine legitime Pluralität in Treue zur lex credendi und lex orandi der Kirche nicht fruchtbarer wäre. Wie er mit Summorum Pontificum und Traditionis custodes umgeht, wird über sein liturgisches Profil hinaus auch zeigen, wie er das Papstamt selbst versteht: als Verwalter eines Erbes oder als Erneuerer mit begründeter Achtung vor der Vergangenheit.
Der Weg, den Leo XIV. hier wählt, wird viel über den Charakter seines Pontifikats sagen – und darüber, wie viel Raum die Kirche künftig ihrer eigenen Tradition noch geben will.