Papst Franziskus hatte jüngst in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung ABC und in einem Gesprächsbuch über sein Verhältnis zu Benedikt XVI. ziemlich überzeichnet. Vor allem schlug er erstaunlich hart auf Msgr. Georg Gänswein, den langjährigen Sekretär von Benedikt XVI., ein, obwohl er diesen ohnehin bereits Anfang 2020 seines Amtes als Präfekten des Päpstlichen Hauses enthoben und im vergangenen Jahr sogar aus dem Vatikan entfernt hatte. Offenbar machte jemand das regierende Kirchenoberhaupt darauf aufmerksam, daß diese Prügelattacke viele nicht nur erstaunt, sondern auch verstört hatte. Nun bemüht sich der Journalisten-Stoßtrupp um Franziskus gegenzusteuern, um das päpstliche Image wieder in das „rechte“ Licht zu rücken.
Den Auftakt machte Elisabetta Piqué, die Vatikanistin der argentinischen Tageszeitung La Nación und persönliche Freundin des Papstes. Sie behauptete unter Berufung auf „im Vatikan kursierende“ Gerüchte, daß Franziskus den 67jährigen Gänswein wieder in den aktiven Dienst zurückzurufen und zum Apostolischen Nuntius ernennen wolle. Die Meldung ging sofort um die Welt. Doch was ist dran an der Sache? In Rom wird von tatsächlich informierter Seite weder bestätigt noch dementiert.
Gänsweins Entfernung aus Rom
Zum Jahresende 2022 war Benedikt XVI. hochbetagt verstorben. Die päpstlichen Unfreundlichkeiten rund um das Requiem und die Bestattung sind bekannt. Kurze Zeit danach gingen Stimmen um, Franziskus wolle den von ihm wenig geschätzten treuen Sekretär von Benedikt aus dem Vatikan und Rom entfernen. Gleich darauf wurde, als Gegenmaßnahme des päpstlichen Hofstaaates, das Gegengerücht gestreut, Gänswein werde zum Apostolischen Nuntius ernannt und mit der diplomatischen Vertretung des Heiligen Stuhls in einem der vielen Staaten betraut, mit denen dieser diplomatische Beziehungen unterhält. Während das erste Gerücht zutraf, war am zweiten nichts dran. Letzteres war ein Ablenkungsmanöver, gezielt gestreut, um in Sicherheit zu wiegen, zuviel Unruhe zu vermeiden und Gänsweins tatsächlichen Abgang für ihn umso härter sein zu lassen. Dieser wurde nämlich dann kurzerhand aufgefordert, seine Koffer zu packen und ohne Amt und Aufgabe in seine Heimatdiözese in der Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Dort wurde er ebenso unfreundlich aufgenommen, wie er aus Rom hinauskomplimentiert worden war: Die Erzdiözese Freiburg ließ wissen, daß sie „keine Verwendung“ für den Titularerzbischof habe. Dabei ist es geblieben.
Neue Hiebe, neue Gerüchte
Nun, ein Jahr später, werden erneut Gerüchte gestreut, erneut von derselben Art. Wiederum soll eine Beauftragung als Nuntius winken. Warum aber jetzt und nicht schon damals? Ist man in Santa Marta nun etwa der Meinung, Gänswein sei durch die ihm zugefügten Demütigungen ausreichend „geläutert“, sprich „bergoglianisiert“? Wohl kaum.
Laut Piqué sei es bei der Audienz zum Jahreswechsel zu einer „Wende“ gekommen, als Msgr. Gänswein und die Memores Domini, die gottgeweihten Frauen, die Benedikt XVI. zuletzt den Haushalt geführt hatten, zum ersten Todestag Benedikts von Franziskus in Audienz empfangen wurden. Bei dieser Gelegenheit habe Msgr. Gänswein, so Piqué, sich selbst für einen Posten als Nuntius ins Spiel gebracht. Zur Begründung nennt Piqué, weil es Gänswein „unangenehm“ sei, schon so lange ohne Aufgabe zu sein. Klingt die Darstellung glaubwürdig?
Wir rekapitulieren: Am 12. April behauptete die Papst-Freundin Piqué:
- Franziskus sei am vergangenen 31. Dezember, als Gänswein in den Vatikan kam, um eine Gedenkmesse für Benedikt zu zelebrieren, auf den deutschen Prälaten zugegangen und habe ihn begrüßt. Beim Empfang habe er dann Gänswein die „Zusammenarbeit“ angeboten. Dieser sei sogleich darauf eingegangen und habe sich für die Leitung einer diplomatischen Vertretung ins Spiel gebracht.
- Am Ostersonntag, dem 31. März, also genau drei Monate später, veröffentlichte die spanischen Tageszeitung ABC das Franziskus-Interview von Javier Martínez-Brocal, in dem der Papst auf Gänswein einschlug und sich als wahren, vielleicht einzigen Freund Benedikts präsentierte und zugleich behauptete, dieser sei von anderen, wie zum Beispiel Gänswein, mißbraucht worden.
Die Chronologie ergibt schlichtweg keinen Sinn, außer Santa Marta spielt ein Spiel.
Piqués Ehemann, der Rom-Korrespondent der US-amerikanischen Jesuitenzeitschrift America, berichtete dieselbe Darstellung, die zuvor seine Frau verbreitete. Eine Ergänzung lieferte hingegen Javier Martínez-Brocal, der ABC-Vatikanist, der am Ostersonntag mit seinem Interview die jüngste Gänswein-Kontroverse ins Rollen gebracht hatte. Martínez-Brocal wußte gestern, kurz nach Piqué, zu berichten:
„Vor kurzem hat der Papst ihm [Gänswein] ein Aufgabe als Nuntius angeboten und ihm drei verschiedene Ziele zur Verfügung gestellt, damit er dasjenige auswählen kann, das er bevorzugt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er zum Nuntius in einer europäischen Botschaft ernannt wird und dass die Ernennung bekanntgegeben wird, sobald er die Zustimmung dieser Regierung erhalten hat.“
Als Nicht-Diplomat an die „Front“ des neuen Kalten Krieges?
Italienische Medien berichteten, daß Gänswein „irgendwo auf der Welt“ hinkommen werde. Die Tageszeitung Il Giornale widersprach der Rehabilitierungsthese, konkretisierte aber die Angabe, indem sie „Indiskretionen“ zitierte, laut denen Msgr. Gänswein als Nuntius nach Litauen entsandt werde. Der dortige Botschaftsposten ist frei, seit Msgr. Petar Rajič, ein kanadischer Vatikandiplomat kroatischer Abstammung, am 11. März von Franziskus zum neuen Botschafter in Italien und San Marino ernannt wurde. Rajič war zuvor fast fünf Jahre Nuntius in Litauern gewesen.
Mit Litauen unterhält der Heilige Stuhl wieder diplomatische Beziehungen, seit das Land nach dem Ende der Sowjetunion die Selbständigkeit zurückerlangte. Ein Nuntius war bereits in der Zwischenkriegszeit in der litauischen Hauptstadt tätig. Als die baltischen Republiken im Zweiten Weltkrieg jedoch von der UdSSR annektiert wurden, kündigte diese die entsprechenden Abkommen auf.
Wilna gilt aktuell als „Frontlinie“ des neuen Kalten Krieges zwischen Rußland und dem US-dominierten Westen. Die Staatsführungen in Polen und Litauen sind aufgrund der Geschichte der vergangenen 200 Jahre besonders antirussisch und daher derzeit die aktivsten Verbündete der angelsächsischen Mächte auf dem europäischen Festland. Manche bemühen sich entlang dieser Linien derzeit recht aktiv darum, daß aus dem kalten ein heißer Krieg wird. Es erscheint zumindest ungewöhnlich, daß der Heilige Stuhl in einer so heiklen Situation ausgerechnet einen Nicht-Diplomaten auf einen solchen Posten berufen könnte. Die Riege der Vatikandiplomaten gehört zudem zu den stäksten Stützen des derzeitigen Pontifikats und mag bekanntlich nicht, wenn „Berufsfremde“ auf ihre Posten gesetzt werden. Da kann der Hinweis, Gänswein habe als Präfekt des Päpstlichen Hauses viel Erfahrung im Umgang mit den „Mächtigen“ dieser Welt gesammt, nicht überzeugen. Allerdings gibt es bereits einen Präzedenzfall, den eines anderen ehemaligen Sekretärs von Benedikt XVI.
Eine Ernennung Gänswein ist bisher nicht erfolgt und solange das nicht geschehen sein wird, sind Zweifel an dem jüngsten Sinneswandel von Santa Marta angebracht. Wozu das Theater der vergangenen 15 Monate, wenn nun auf diese Weise die Rehabilitierung Gänsweins folgen sollte? Warum die Schläge vom Ostersonntag, wenn das angeblich so „harmonische“ Friedensangebot und der Wunsch nach „Zusammenarbeit“ bereits am 31. Dezember erfolgte?
Eine Ernennung zum Nuntius, so falsch das Gerücht noch vor einem Jahr war, kann laut aktuellen Stimmen aus dem Vatikan zwar nicht mehr ganz ausgeschlossen werden. Die Zweifel überwiegen aber. Auszuschließen ist jedoch die von Piqué und Co. in Umlauf gebrachte Darstellung. Kein Zweifel kann auch daran bestehen, falls es tatsächlich zur Ernennung zum Nuntius kommen sollte, egal ob in Litauen oder sonstwo, daß Franziskus Gänsweins Berichte und vor allem seine Empfehlungen für Bischofsernennungen konsequent ignorieren würde.
Franziskus rehabilitiert niemanden, den er einmal als Gegner identifiziert hat. Er hat vielmehr, wie es in Argentinien heißt, seine ganz eigene Art, seine Gegner „auf dem Feuer zu braten“.
Quelle: Katholisches.info